Keine starre Obergrenze der Pflegekosten bei Schwerst- Verletzten

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 28.08.2018, VI ZR 518/16 entschieden, dass es keine starre Obergrenze der Pflegekosten bei Schwerst-Schädel-Hirn-Verletzten gibt und eine pauschale Begrenzung auf das Doppelte der Pflegeheimkosten durch den Schädiger nicht gerechtfertigt ist.

Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Eine 1982 geborene Versicherte wurde 2003 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Sie erlitt bei dem Unfall ein Schädelhirntrauma dritten Grades. Als Folge der Verletzungen bestehen ein hirnorganisches Psychosyndrom mit Verwirrtheit, aggressiven Verhaltenstendenzen und kognitiven Störungen etc. Infolge der Schädigung der Hirnsubstanz ist es bei der Geschädigten zu Wesensveränderungen, Aufmerksamkeitsstörungen, Antriebsarmut sowie einer Unfähigkeit, komplexe kognitive Situationen adäquat zu erfassen und zu bewältigen, gekommen. Aufgrund der bestehenden Beschwerden ist sie nicht in der Lage, ein eigenständiges Leben zu führen, sondern bedarf der Pflege und Betreuung durch Dritte. Obwohl die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers die volle Einstandspflicht dem Grunde nach anerkannt hat, wendet sie sich gegen die Höhe der Forderungen der Geschädigten zum Ausgleich des Bedarfs der Pflege und Betreuung.

Haftpflichtversicherer von Unfallverursachern wenden regelmäßig ein, dass sie allenfalls zur Erstattung der hypothetischen Pflegeheimkosten oder des Doppelten der Pflegeheimkosten verpflichtet wären, aber nicht zu höheren Kosten, die durchaus auch 15.000 bis 30.000 € pro Monat betragen können.

Der BGH ist einem solchen Ansinnen von Haftpflichtversicherern mit seinem Urteil erneut entgegengetreten:

Weil die Geschädigte in die Situation, in der sie sich befindet, unfreiwillig durch ein Schädigerverhalten hineingeraten sei, habe sie grundsätzlich ein Recht auf Fortsetzung ihres früheren Lebens. Deswegen verbietet sich in solchen Fällen die Festlegung einer starren Obergrenze derart, dass höchstens der Höchstbetrag einer vollstationären Pflege oder das Doppelte eines solchen Betrags für die häusliche Pflege zu erstatten sei.

Ein Schwerstgeschädigter müsse es grundsätzlich nicht erdulden, in ein Heim „abgeschoben“ zu werden. Denn wenn zum Ausgleich der Pflegebedürftigkeit verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichem Kostenaufwand in Betracht kommen (z.B. Einstellung einer Pflegekraft, Unterbringung in einem Pflegeheim oder Versorgung durch einen Familienangehörigen), so bestimmt sich die Höhe des Anspruchs des Geschädigten danach, welcher Bedarf in der von ihm in zumutbarer Weise gewählten Lebensgestaltung tatsächlich anfällt.

Ein Schwerstgeschädigter kann, wenn er dies will, in die ihm vertrauten früheren Lebensumstände zurückgeführt werden. Er muss sich grundsätzlich selbst dann nicht auf die Möglichkeit der Pflege in einer stationären Einrichtung verweisen lassen, wenn dies kostengünstiger wäre. Ausschließlich in extremen Ausnahmefällen gilt etwas anderes. Nur wenn die häusliche Pflege mit unverhältnismäßigen, für den Schädiger auch unter Berücksichtigung der Belange des Geschädigten nach Treu und Glauben nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden ist, muss der Schädiger diese nicht ersetzen. Davon darf allerdings erst dann ausgegangen werden, wenn die Kosten der häuslichen Pflege in keinem vertretbaren Verhältnis mehr zu der Qualität der Versorgung des Geschädigten stehen.